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Leipziger Volkszeitung 7. 3. 2017 von Steffen Georgi
Burleskes Liebes-Lust-Leid Rangeln
Oh, dieser Puck! Zur Ouvertüre krabbelt er aus dem Orchestergraben. Tänzelt, wie ein Nachtmahr aus den Tiefen des Unbewussten, auf der Balustrade zwischen Musikern und Publikum. Aus einer anderen Welt gelockt mit den Klängen aus Mendelssohns “Ein Sommernachtstraum”. Am Wochenende feierte der als Ballett (Choreografie: Reiner Feistel) im Chemnitzer Opernhaus zu Recht bejubelte Premiere. Gelingt dieser Inszenierung doch etwas Seltenes: Das somnambule, janusköpfige, poetische Traumgespinst, das Shakespeare mit diesem Stück wob, atmosphärisch adäquat heraufzubeschwören. Was auf hiesigen Gegenwartsbühnen ja tatsächlich fast nur noch mit den Mitteln der Musik gelingt, kommt man dem Sprachkünstler Shakespeare doch sprechend kaum noch bei. Dass nun Feistel noch Kompositionen von Debussy, Rossini, Elgar und Strawinsky in seine “Sommernachtstraum”-Inszenierung montierte, ist dabei nicht, was sich befürchten ließe, zu viel des Guten. Vielmehr bedienen diese Dreingaben Facetten, die bei Mendelssohn weniger Anklang finden. Das Dunkle, Surreale, Abgründige auch. Das allerdings, ohne die Sommernachtleichte des Stoffes umzustülpen zur Bedeutungsschwere. Und unabhängig davon, dass das dramaturgisch auch mal hinkt, etwa wenn Titania und Oberon zum still verspielten “Nachmittag eines Faun” ihren durchaus handfesten Ehekrach haben, wirkt das in der Gesamtheit mit bestechender Stringenz.
Zu der auch beiträgt, wie die Robert-Schumann-Philharmonie unter der Leitung Stefan Politzkas zwischen den Polen changiert. Effizient, kräftig - auch mal zu kräftig in den lyrischen Passagen - bewegt man sich von Mendelssohn zu Debussy, tänzelt von Rossinis “Sigismondo”-Ouvertüre zu Strawinskys “Norwegian Moods” und Elgars “Nimrod”. Klangräume öffnend, in die sich dieses Ballett ebenso organisch einpasst wie in den Bühnenraum (Frank Fellmann). In dem grünt zu Beginn der Wald vor Athen als dezidierte Kulissenmalerei vor großer Festtafel. Bis sich dieses flächige Hintergrundbild verselbständigt und magisch zur irrlichternden Raumtiefe öffnet, wirklich wird und zugleich entschwebt ins Leichte. Mit dem dann Zettel und Kumpane (inklusive Bernd Sikora, der als Squenz für hinreißende Perkussions-Einlagen sorgt) erst auf einem Stahlträger vom Schnürboden schweben, um sich bald, samt Theaterkarren mit Shakespeare-Konterfei, im Dickicht der Handlung zu verheddern. Poetisch stark, witzig und unmittelbar wie diese Bilder, zeigt sich das choreografisch-tänzerische. Rührend beim Auftritt der “kleinen Elfen” der Opernballettschule. Oder als burleskes Liebes-Lust-Leid-Rangeln zwischen Demetrius (Benjamin Kirkman) und Lysander (Emilijus Miliauskas) um die bisher verschmähte Helena (Helena Gläser). Die das sichtlich genießt, während die sonst so begehrte Hermia (Alanna Saskia Pfeiffer) hier zum traurigen Hinterhertanzen und Schattenboxen verdammt ist. Milan Malác besticht dazu in seiner Doppelbesetzung als Theseus/Oberon in der dankbareren Rolle: Ein Elfenkönig zwischen Bocks-Sprüngen und viriler Geschmeidigkeit und auf seine Art so liebesblind wie Gattin Titania. Deren Fallhöhe vom Stolz zum Liebesbuhlen um Eselskopf Zettel (Ivan Cheranev als lustiger Tor mit stolzgeschwellter Brust) Nela Mrázová berührende Nuancen schenkt. Überhaupt auffällig: wie sich hier eine tänzerische Individualität behauptet, die über etwaige technische Unsauberheiten hinwegsehen läßt. Und die zugleich die Dogmen des Akkuraten konterkariert. Wofür natürlich ein Puck wie geschaffen ist. Raul Arcangelo gibt den als sardonischen Satyr, dem das dritte Auge nicht umsonst auf dem Schädel prangt. Ein durchtrieben Übermütiger Wildfang, dessen Tanz noch einer aus heidnischen Zeiten ist. Nur zur Tarnung domestiziert - und verführerisch genug, um auch ein bürgerliches Publikum gehörig zu verzücken.
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